Villa Thiede

Villa Hamspohn (um 1907) / Villa Thiede (2014)


JOHANN HAMSPOHN
AEG-DIREKTOR UND REICHSTAGSABGEORDNETER

1906 beauftragte Johann Hamspohn, seit vier Jahren Vorstandsmitglied der AEG, den Schüler Messels Paul Baumgarten Am Großen Wannsee 40 ein Sommerhaus zu bauen. Besonders eindrucksvoll gestaltete der Architekt die Eingangshalle, die durch ein Glasdach belichtet wurde. Das Speisezimmer - im Jugendstil gehalten - wurde mit einer Kassettendecke ausgeschmückt. Vom Frühstückszimmer in der ersten Etage hatte man vom großzügig bemessenen Balkon einen herrlichen Blick über den See. Im Winter lebte Hamspohn mit seiner Frau Marie und Tochter Frieda in der Stadtwohnung am Kurfürstendamm 211 (heute Maison de France).

Der in Köln geborene Johann Hamspohn (1840 - 1926) verfolgte schon frühzeitig wissenschaftliche Interessen, musste aber auf Wunsch des Vaters zunächst eine kaufmännische Lehre absolvieren. Anschließend arbeitete er als Deutschlehrer in Frankreich, betrieb eine umfassende autodidaktische Weiterbildung und erweiterte seine Fremdsprachenkenntnisse.

Wieder in Köln, engagierte er sich als Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums für eine Schulreform. Über die Bekanntschaft mit Eugen Richter, dem Führer der deutschen Fortschrittspartei, wurde er Parteimitglied und war von 1881 bis 1887 im Reichstag als fortschrittlicher, später als freisinniger Abgeordneter tätig. Hier traf er auf den gleichfalls freisinnigen Abgeordneten Ludwig Loewe und schloss mit ihm und dessen Bruder Isidor eine lebenslange Freundschaft.

Johann Hamspohn (1840-1926) / Villa Hamspohn (Seeseite) als Krankenhaus, 1968

Nach dem Rückzug aus der Politik widmete er sich ganz dem internationalen Finanzgeschäft. Hamspohn leistete Pionierarbeit bei der Einführung der Elektrizität im Transport- und Verkehrswesen. Nach einer gemeinsamen Studienreise in die USA, gründete er 1892 mit Ludwig Loewe die Union-Electricitäts-Gesellschaft in Berlin. Hamspohn setzte sich in zahlreichen Gemeinden Europas für die Elektrifizierung des Verkehrswesens ein, was ihm besonders in Paris und London großes Ansehen verschaffte. Bedingt durch die wirtschaftliche Depression, fusionierte die Union-Electricitäts-Gesellschaft 1902 mit der AEG. Bis 1910 saß Hamspohn im Vorstand, von 1910 bis 1926 war er Mitglied des Aufsichtsrats. Nach dem Ersten Weltkrieg knüpfte er die abgerissenen wirtschaftlichen Kontakte Deutschlands auf internationaler Ebene neu. Sein besonderes Engagement im Unternehmen galt der Förderung der Jugend.

Johann Hamspohn starb 1926. Er ist mit seiner 1931 verstorbenen Frau Marie, seiner Tochter und ihrem ersten Ehemann, Professor Karl Cramer, sowie der Haushälterin Hedwig Meyer im Familiengrab auf dem Neuen Friedhof beigesetzt.

1940 musste die mittlerweile in der Schweiz lebende Tochter, Gräfin Frieda von Lieven, das Landhaus der Eltern an die Deutsche Reichspost verkaufen. Diese richtete dort eine „Schule für weibliche Postinspektoranwärterinnen“ ein. 1944 diente das Anwesen als Militärlazarett, von 1945 bis 1969 als Krankenhaus Wannsee. Seit 1971, nach dem Auszug des Krankenhauses, nutzte der Postruderverein die stark sanierungsbedürftige Villa. Seit 2006 war sie in Privatbesitz von Jörg Thiede und fungierte bis 2014 als Kulturforum "Villa Thiede".


DER SECESSIONIST VOM WANNSEE

Der Berliner Unternehmer Jörg Thiede bringt in seinem Kunstsalon Kultur, Natur und Kommunikation in Einklang.

von Angelika Leitzke

erschienen in WELTKUNST - Die Zeitschrift für Kunst und Antiquitäten - Heft 13 / 2008

DAS HERRSCHAFTLICHE HAUS mit Blick auf Berlins größte Badewanne ist weder Museum noch unzugängliche Privatvilla, die man durch hohe Mauern vor den Blicken der Öffentlichkeit versteckt hat. Direkt neben der Max-Liebermann-Residenz am Wannsee beherbergt es seit Frühjahr 2006 den „Kunstsalon Berliner Secession“: ein offener Ort der Begegnung für Freunde der schönen Muse, die gleich nach dem Einlass ihre Reize entfaltet. Das kaminbeheizte Foyer erleuchtet ein großes Original-Jugendstilfenster in magischen Farben, und eine weibliche Marmorfigur des Secessionisten N. Niklaus Friedrichs begrüßt den Besucher.

Das Haus hat eine bewegte Vergangenheit. 2004 hat der Berliner Unternehmer Jörg Thiede das 5000 Quadratmeter große Grundstück am Wannsee erworben - für circa zwei Millionen Euro. Vor knapp einhundert Jahren wurde es von Paul Baumgarten, auch Architekt der Liebermann-Villa, für den ehemaligen Reichstagsabgeordneten und AEG-Vorstand Johann Hamspohn entworfen, der es als Sommerdomizil nützte. Hamspohn starb 1926, 1940 musste seine Tochter unter dem Druck der Nazis den Besitz an die Reichspost verkaufen, die dort eine „Schule für weibliche Postinspektoraanwärterinnen“ einrichtete. Von 1945 bis 1969 diente das Gebäude als Krankenhaus, zuletzt hatte sich hier der Postruderverein häuslich eingerichtet und das Anwesen endgültig herunterkommen lassen.

2. April 2004 - Vor Beginn der Sanierungsarbeiten

Bis Thiede kam - ein bisschen verrückt, aber optimistisch und erfinderisch. Haus und Garten ließ der heute 70-jährige Professor für Betriebswirtschaft, der aus dem Berliner Arbeiterbezirk Reinickendorf stammt und sein Vermögen mit Software-Erfindungen gemacht hat, nicht nur denkmalgerecht, sondern auch mit viel Liebe und Behutsamkeit restaurieren. Dabei zog er Jugendliche aus sozial schwierigen Bedingungen heran, um die sich auch seine gemeinnützige „Dr. Jörg Thiede Stiftung“ kümmert. Sie wurde 1998 mit Ehefrau Traute Thiede gegründet. Eines ihrer Ziele ist es, junge Langzeitarbeitslose in Verbindung mit der Sanierung denkmalgeschützter Bauten in den Bundeslängern Berlin und Brandenburg zu fördern. Unter dem Motto „Denk mal ans Denkmal“ hat die Stiftung bereits mehrere Projekte in Angriff genommen. So ließ Jörg Thiede am Potsdamer Griebnitzsee die Villa Carl Saltzmanns, des Marinemalers von Wilhelm II., restaurieren. Seit 2004 gehört sie dem Dirigenten Christian Thielemann. 2006 wurde die Thiede-Stitung für ihre Engagement im „Baerwaldbad“, einem öffentlichen Hallenbad von 1924, mit der Förderpreis „Jugend in Arbeit“ in der Kategorie Freie Träger im Land Berlin ausgezeichnet. Den Bundeswettbewerb hatten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit initiiert.

Villa Thiede / Empfangshalle nach der Sanierung

Mit Saltzmann kam auch Thiedes Liebe zur Kunst. Zuerst kaufte Jörg Thiede Werke des 1923 verstorbenen Malers, der 1888 den Kaiser auf seine erste Nordlandfahrt nach Russland und Skandinavien begleitete. Dann erwarb er Bilder aus dem Umkreis der „Berliner Secession“, deren Präsident von 1898 bis 1911 Hamspohns Nachbar Max Liebermann war. Und so zeigt Thiedes Residenz am Wannsee vor allem Gemälde und Grafiken der Berliner Secession und ihres Vorläufers, der „Gruppe der Elf“. Diese avantgardistischen Gruppierungen widersetzten sich mit ihrer Orientierung an der französischen Moderne gegen Ende des 19. Jahrhunderts dem wilhelminischen Kunst- und Akademiebetrieb mit seinem verstaubten National- und Historienkult. Impressionistische Porträts, Landschaften und Genrebilder von Liebermann, Walter Leistikow, Franz Skarbina, Karl Hagemeister, George Mosson oder Hans Herrmann sind nun in den verschiedenfarbig ausgemalten Salons der ersten Etage zu sehen - Werke, die für Wilhelm II. „Rinnsteinkultur“ waren. Mit seiner Rede zur Eröffnung der Berliner Siegesallee im Dezember 2001 hatte der Kaiser die künstlerische Avantgarde erst recht gegen sich aufgebracht, deren prominentes Sammelbecken in Berlin damals unter anderem die Secession war. Dass diese sich letztendlich nicht nur künstlerisch, sondern auch kommerziell als erfolgreich erwies, verdankte sie dem Galeristen Paul Cassirer, der in der Spree-Metropole modernen Kunstmarketing publik gemacht hatte.

Herrensalon & Damenzimmer

Leihgaben, in erster Linie von Privatleuten, aber auch von öffentlichen Museen, ergänzen Thiedes Bildergalerie. Diese wird immer wieder um weiter „Liebermänner“ oder andere Secessionisten erweitert, die dem Selfmademan auf allen möglichen Wegen, manchmal auch nur in einer Plastiktüte, gebracht werden.

Sonderausstellungen lockern das Programm auf. Eine war in dieser Saison dem heute nahezu vergessenen Moriz Melzer (1877-1955) gewidmet. 1910 fiel er mit 27 anderen, vorwiegend expressionistischen Malern, darunter die Mitglieder der Dresdner Künstlervereinigung „Brücke“, bei der Jury der Berliner Secession als hohler Modernist durch. Daraufhin gründete Melzer mit anderen Zurückgewiesenen im selben Jahr die Neue Secession, der auch die „Brücke“ beitrat. Sie organisierte bis 1913 eigene Ausstellungen, unabhängig von der Berliner Secession und ihrem als überholt angesehenen Stil - einem Impressionismus preußischer Prägung. Ihr Präsident war bis 1912 Max Pechstein, den wiederum Hamspohn indirekt protegierte: 1909 riet er seinem AEG-Kollegen Walther Rathenow, einem Liebermann-Verwandten, ein Bild des Künstlers zu erwerben, das bei der Berliner Secession, der Pechstein zunächst angehört hatte, zu sehen war.

Mit der Melzer-Schau, die, davor im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg zu sehen war und die kein Berliner Museum übernehmen wollte, bewies Thiede nochmals, dass er mit seinem Salon neue Wege beschreitet - und zwar nicht nur, indem er Vergessenes in gepflegter Atmosphäre wieder aus der Versenkung holt. Schon im vergangenen Jahr widmete er der jüdischen Malerin und Grafikerin Julie Wolfthorn, die zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession gehörte und 1944 im KZ Theresienstadt starb, eine Kabinettausstellung, die großes Interesse hervorrief.

Marmorbrunnen mit Statue von Bildhauer Nikolaus Friedrich, 1906 / Herrensalon I & II

In diesem Frühjahr präsentierte Thiede, zum Erstaunen der Liebermann-Villa nebenan, zwei verschollen geglaubte Porträts von Liebermann und Slevogts Hand, die Theodor Stoperan, den einstigen Sekretär von Paul Cassierer, darstellen. Beide Werke sind Leihgaben von süddeutschen Privatsammlern, die durch reinen Zufall auf Thiedes Kunstsalon gestoßen sind und ihre Bilder lieber hier als in einem Museum aufgehoben sehen wollten. Waltet doch bei Thiede keine museale Strenge, die den Besucher aus Ehrfurcht vor der Kunst erstarren lässt.

Auch will Jörg Thiede im Gegensatz zur Liebermann-Villa, die der Berliner Senat vor gut zehn Jahren zur musealen Nutzung bestimmte und die von der Liebermann-Gesellschaft getragen wird, die komplette Geschichte der Berliner Secession aufzeigen. Diese reicht von der Gruppe der Elf bis hin zur Neuen Secession, die in Berlin zum Forum der neuen Avantgarde - der Expressionisten - wurde. Es ist die Geschichte eines Kulturkampfes, der sogar politisch-ideologisch vereinnahmt wurde, aber die Reichshauptstadt Anfang des 20. Jahrhunderts zur führenden deutschen Kunstmetropole machte.

"Grosse Woge" im Park von Volkmar Haase, Berlin 1994 / Villa Thiede, Haupteingang

In der aktuellen Herbstsaison offeriert der kunstliebende Unternehmer neben Werken von Walter Leistikow, der sich vor 100 Jahren in Berlin wegen einer damals nicht kurierbaren Syphilis das Leben nahm, circa sechs Gemälde von Max Liebermann aus Privatbesitz, die schon seit längerer Zeit nicht mehr öffentlich gezeigt wurden.

Von den Secessionskämpfen erholen kann sich der Besucher im Parterre der Thiede-Villa: Hier sind die anekdotenreichen Aquarelle und Zeichnungen Saltzmanns sowie Schwarzweiß-Kopien nach seinen Gemälden zu sehen. Daneben lädt die „Berliner Kneipe“ mit Seeterrasse zu Kaffee und Kuchen, aber auch Deftigerem ein, etwa zum „Thiede-Teller“ mit zwei „Schusterjungen“ mit Schmalz und Salzgurken. Hier lässt es sich tatsächlich entspannt genießen und mit dem Hausherrn plaudern, der sich glücklich zeigt, wenn er seine Liebe zur Kunst mit anderen teilen kann.

Villa Thiede, Skulpturenausstellung

Auch im Freien setzt sich Thiedes unprätentiöse Kunstwelt fort. Vor dem Haus wacht Bernhard Heiligers abstrakter bronzener „Großer Phönix“, eine Leihgabe der Berliner Heiliger-Stiftung, über das Anwesen. Den Salon bewacht ein großer modernen Schutzengel. Zum Wannsee hin kann sich der Besucher mit Skulpturen des abstrakt arbeitenden Stahlbildhauers Volkmar Haase zwischen schlanken Pappeln, heiteren Birken und einer fast 100-jährigen Blutbuche verlustrieren - mit Blick auf den glitzernden See, auf dem im Sommer die Segler ziehen. Hier steht auch ein modernen Flachbau, der Workshops und Gesprächen vorbehalten ist. Zudem lockt Jörg Thiede mit Konzerten und Lesungen und vermietet seine Villa für private Feiern und Firmenevents.

Ein Zaun mit Gartentür trennt sein Reich - noch - vom Liebermann-Grundstück. Denn der soll eines Tages fallen, so Thiedes Ideal von einem gemeinsamen Kulturzentrum am Wannsee, das auch ein Sprachzentrum in der angrenzenden ehemaligen Langenscheidt-Villa beinhalten soll und im Literarischen Colloquium und in der American Academy am Ufer gegenüber sein Pendant hätte: Insgesamt eine Abspaltung vom hektischen Offiziellen Kulturbetrieb in der Berliner City. Auch eine Möglichkeit, eine Secession zu betreiben - fast wie zu Liebermanns Zeiten.

Villa Thiede während einer Abendveranstaltung von Rudolf Steiner (Seeseite)

Villa Thiede (Seeseite) / Blick aus der 1. Etage auf die Remise

Blick aus der 1. Etage auf den Großen Wannsee / Villa Thiede, Luftaufnahme


VILLEN WIE SEEROSEN

von Anita Wünschmann

erschienen in BERLIN VIS-À-VIS - Heft Nr. 32 - Herbst 2007


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